„Ich versuche nicht mehr allen zu gefallen“

ANNA MARIA NIEMIEC
Preisgekrönte Cellistin und Klangkünstlerin
Seit 23 Jahren trägt Anna Maria ihr geliebtes Cello am Rücken durch die Welt, spielt auf internationalen Konzerten und Wettbewerben und berührt Menschen mit ihrer Musik. Auf dem Weg zur selbstbewussten, erfolgreichen Musikerin, die ihren ganz eigenen Stil prägt, ging sie rückblickend immer wieder über ihre Grenzen. Inzwischen versucht sie nicht mehr um jeden Preis andere, sondern vor allem sich selbst glücklich zu machen.
Ich habe eine Veranlagung zum Workaholic. Früher dachte ich, das ist Stärke: einfach durchpowern und alle Warnzeichen ignorieren. Genau darunter leidet aber meine Arbeit. Für mich ist es ein ständiger Lernprozess, mir einzugestehen, wo meine Grenzen liegen, diese zu respektieren und kürzer zu treten.

Das zu erkennen war mitunter schmerzhaft. Oftmals bin ich nicht nur über meine psychischen, sondern auch über meine körperlichen Grenzen gegangen. Etwa in meinem fünften Studienjahr habe ich mich für einen großen internationalen Wettbewerb in Polen qualifiziert. Monatelang habe ich mich intensivst darauf vorbereitet. Dann hat mein Körper plötzlich gestreikt: Eine Woche vor dem Wettbewerb konnte ich kaum noch meinen kleinen Finger bewegen. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, ich dachte ich entspanne mich einfach einen Abend in der Badewanne und dann wird das wieder. Aber ich hatte es schlichtweg übertrieben und so viel geübt, dass mein Finger davon zu schmerzen begann und unbeweglich wurde. Letztlich konnte ich nicht am Wettbewerb teilnehmen, weil ich die Saiten nicht mehr richtig greifen konnte. Das war ein riesiger Rückschlag.
Dieser Rückschlag hat mir klargemacht, dass es nicht reicht sich auf die Musik allein zu fokussieren. Ich muss auch etwas für meinen Körper und Geist tun. Mentale Gesundheit ist noch immer so ein Tabuthema, auch in der Musikszene. In unserer Branche geht es oft darum die Fassade aufrechtzuerhalten, ständig den Eindruck zu vermitteln, dass man topfit ist und alles perfekt läuft. Sportler*innen haben oft psychologische Betreuung, das gibt es für uns Musiker*innen gar nicht. Wir sind aber doch so etwas wie Leistungsportler*innen und Künstler*innen noch dazu, aber wir sprechen kaum darüber wie belastend das sein kann häufig unterwegs zu sein, keinen klaren Tagesablauf zu haben und ständig für viele Menschen zu spielen.
Verletzlichkeit zuzulassen, Fehler zuzulassen hat etwas unglaublich Befreiendes. Mich persönlich beeindruckt Perfektion oft gar nicht. Ich will berührt werden und andere berühren. Ich will Leuten zeigen, was für unterschiedliche Klänge und Geräusche ich aus einem Stück Holz, meinem Cello, zaubern kann. Mir wäre es lieber, wenn jemand aus dem Konzert geht und sagt: „Furchtbar, was war das denn?“ als eine gleichgültige Reaktion auf meinen Auftritt, denn das wäre eine verschwendete Stunde. Mein Publikum ist mir wahnsinnig wichtig, aber ich habe mit den Jahren gelernt, dass ich nicht mehr jedem gefallen muss. Auf der Bühne wie im Leben.
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📷 @detlevspinell
Hier kannst Du Anna Maria und ihr Cello in Action sehen & hören.
Konzept & Redaktion:
Dorina Marlen Heller
Titelbild
Andreas Hoyer
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